Carola Roll

Komplexität am Beispiel Kennzahlensysteme im Sondermaschinenbau

Komplexität – was ist das?

Der Begriff Komplexität verkommt im Businesskontext immer mehr zu einem Buzzword. Aber was genau verbirgt sich hinter diesem Begriff, der sich deutlich von der umgangssprachlich oft synonym verwendeten Kompliziertheit abgrenzt? Und noch viel wichtiger: wie sieht ein erfolgreicher Umgang mit Komplexität aus?

Die Wurzeln des Begriffs finden sich im Lateinischen: “complexus” bedeutet “miteinander verflochten”.

Der Begriff Komplexität selbst hat seit den 1970er Jahren Eingang in die Umgangssprache gefunden und wird dort seither sehr undifferenziert verwendet. Es gibt unterschiedliche Ansätze und Auffassungen von Komplexität. Dies spiegelt wider, dass Komplexität subjektiv ist und vom Kontext, den Akteuren und den Beobachtern abhängt.

Hans Ulrich (1988, 2001), ehemaliger Professor für Betriebswirtschaftslehre an der Universität St. Gallen, drückt sein Verständnis von Komplexität wie folgt aus: Komplexität ist die Fähigkeit eines Systems, in kurzen Zeiträumen eine große Anzahl verschiedener Zustände anzunehmen. Maschinen sind „triviale“ Systeme, deren Verhalten vorbestimmt und vorhersehbar ist. Ökologische und soziale Systeme sind komplexe, „nicht-triviale“ Systeme, deren Verhalten zu bestimmten Zeitpunkten nicht vorhersehbar ist.

Als Faustregel bedeutet Komplexität, dass ein System viele Elemente, Beziehungen und Zustände aufweist, die sich im Laufe der Zeit verändern. Diese Veränderungsmöglichkeit wird über die Varietät erfasst. Varietät ist laut Stafford Beer (1985) eine Maßzahl für Komplexität, da diese die Anzahl der möglichen Zustände eines Systems widerspiegelt.

Auch das Cynefin-Modell ist ein populärer Ansatz zur Darstellung von Komplexität im Systemkontext. Es stammt von Dave Snowden (2007), einem Unternehmensberater und Forscher aus Wales. Das Modell differenziert zwischen den vier Ausprägungen einfach, kompliziert, komplex und chaotisch (Snowden & Boone, 2007).

Diese wenigen, exemplarischen Definitionen verdeutlichen, dass der Umgang mit Komplexität kein einfaches Unterfangen ist. Jedoch kann in Annäherung an Ashby´s Law of Requisite Variety festgestellt werden, dass, je komplexer eine Situation ist, desto mehr Personen, Disziplinen und Methoden erforderlich sind, um erfolgreich mit eben dieser Situation umzugehen.

Wofür nutzt es?

Um herauszufinden, wie im Unternehmen erfolgreich mit Komplexität umgegangen werden kann, empfiehlt sich die Nutzung des Viable System Models (VSM) nach Stafford Beer. Dieses Modell orientiert sich an Informationsstrukturen, wie sie in der Natur durch Evolution geschaffen wurden. Dies stellt beispielsweise Fredmund Malik mit folgender Aussage heraus: „Komplexität zu meistern und dadurch die Logik der Evolution als Vorteil auf seiner Seite zu haben, macht das Management von und in komplexen Systemen beinahe zum Vergnügen“ (Hetzler, 2010).

In der praktischen, industriellen Anwendung bedeutet erfolgreicher Umgang mit Komplexität effektives Projektmanagement, Troubleshooting und meist auch Kosteneffizienz. Letztere wird aufgrund der Globalisierung und zunehmenden weltweiten Vernetzung sukzessiv immer wichtiger wird, um die Wettbewerbsfähigkeit weiterhin zu gewährleisten.

Welche praktischen Anwendungen gibt es?

Die komplexen Anforderungen im Unternehmen erlebe ich täglich bei meiner Tätigkeit im Sondermaschinenbau. Dazu gehören zum einen die kontinuierliche Verbesserung von Maschinen und Anlagen – und zum anderen die Entwicklung von Fähigkeiten und Fertigkeiten von Menschen und Prozessen. Beides muss aufeinander abgestimmt und bei gleichzeitig wirtschaftlicher, wettbewerbsfähiger Preisgestaltung gemanagt werden. Dies erfordert eine aufwandsgerechte Ressourcenallokation, aber es muss auch der Ist-Zustand mit Entwicklungs- und Verbesserungspotenzialen aufgezeigt werden. Um hierzu eine rationale Bewertungsgrundlage zu definieren, wurde bei uns im Unternehmen eine Abstufung in drei Komplexitätsstufen anhand von insgesamt zehn Kriterien entwickelt. Zu diesen Kriterien zählen:

  • Kosten,
  • Termine,
  • Risiko,
  • Genauigkeitsgrad,
  • Messung,
  • erforderliche Qualifikationen,
  • Projektmanagement,
  • Dokumentation,
  • Abwicklung,
  • Zertifizierungen.

Die Kriterien werden in drei aufeinander aufbauende Komplexitätsstufen (Stufen 1-3) mit Hilfe jeweils untergeordneter Kennzahlensysteme differenziert, wie die Abbildung zeigt:

Die Zuordnung zur jeweiligen Teilkomplexitätsstufe (farbig markiert) ergibt sich aus den Werten, die bei der Berechnung bzw. Auswertung der zugeordneten Kennzahlen erzielt werden. Hierbei ist jedoch zu berücksichtigen, dass einzelne Kennzahlen sowie Kriterien aufgrund ihrer Gewichtung die Summe der übrigen Kriterien übersteuern können. Die Anwendung der Komplexitätsstufen erlaubt somit sowohl die genaue Betrachtung und Bewertung eines Projekts im Kontext des risikobasierten Ansatzes des Qualitätsmanagements als auch die Möglichkeit zur Positionierung des Unternehmens in einem zukunftsfähigen und – hinsichtlich des Wachstums – vielversprechenden Marktbereich.

Wo gibt es weiterführende Informationen zu dem obigen Text?

  • Ashby, R. W. (1985). Einführung in die Kybernetik (2. Auflage ed.). Frankfurt am Main: Suhrkamp.
  • Beer, S. (1985). Diagnosing the System for Organizations. Chichester: John Wiley & Sons.
  • Hetzler, S. (2010). Real-Time Control für das Meistern von Komplexität. Frankfurt am Main: Campus VerlagGmbH.
  • Frahm, M. und Roll, C. (2022). Designing Intelligent Construction Projects. Chichester: John Wiley & Sons.
  • Snowden, D. und Boone, M. (2007). A leader’s framework for decision making. https://hbr.org/2007/11/a-leaders-framework-for-decision-making

Ein Austausch zum Thema ist möglich mit:

Frau Carola Roll, Strategie- und Nachhaltigkeits-Managerin
bei JELBA Werkzeug- u. Maschinenbau GmbH & Co. KG

Das Profil von Frau Roll finden Sie hier.

Sven-Volker Rehm

Laws of Form-Analyse digitalisierter Arbeitswelten

Die als Schlüsselwerk der Kybernetik bekannt gewordenen Laws of Form von George Spencer-Brown (1969) lassen sich zur Analyse moderner digitaler Infrastrukturen in unserem Arbeitskontext nutzen, um neue Methoden und Theorien zu entwickeln. Dies ist einer der Beiträge des Artikels, der im Februar 2022 im Journal Information and Organization (Elsevier) erschienen ist. Ein Ko-Autor ist GWS-Mitglied Sven-V. Rehm.

Die fortschreitende Digitalisierung hat unser Verständnis von Technologie als einzelne Geräte, Datenbanken oder Anwendungssoftware verändert – wir nehmen diese heute wahr als sich dynamisch verändernde Umgebungen, also Cloud, Metaverse, IoT, KI, eingebettete Systeme usw., in denen vielfältige Nutzungsarten und informationstechnische Prozesse miteinander verflochten sind. Diese in der wissenschaftlichen Literatur als sociomaterial bezeichneten Verflechtungen bestimmen den Erfolg unserer digitalisierten Arbeitswelten (DAW). DAW sind heute viel zu komplex geworden, um sie so zu definieren, wie wir es in der Vergangenheit mit “IT-Artefakten” getan haben. Für die Forschung macht diese Entwicklung das Studium von DAW zunehmend schwieriger und erfordert die Weiterentwicklung von Methoden, mithilfe derer sich die Dynamik der DAW besser beobachten und konzeptualisieren lässt.

In einem vor Kurzem von GWS-Mitglied Sven-V. Rehm mit verfassten Artikel verwenden die Autoren den mathematisch-logischen Formalismus der Laws of Form (LoF) (Spencer-Brown, 1969) für die Analyse sechs illustrativer Studien. Dort wird untersucht, wie jeweils soziale und materielle Aspekte konzeptualisiert werden, um zu unterschiedlichen Perspektiven auf DAW zu gelangen. Die Analyse zeigt drei Archetypen der Beobachtung und Konzeptualisierung auf, die eine Diskussion darüber anregen, wie die Forschung zu neuen Informationssystemen neue qualitative Methoden entwickeln kann.

Der Artikel bietet zum einen neue Einblicke in das aktuelle Verständnis von DAW und Erklärungen zu Schlüsselkonzepten. Zum anderen werden die Laws of Form – als eines der Schlüsselwerke u.a. im Hinblick auf das Konzept der Beobachtung – als prä-ontologischer und prä-theoretischer Formalismus vorgestellt, der die Kommensurabilität von Methoden und die Entwicklung neuer qualitativer empirischer Methoden ermöglicht. Dabei wird aufgezeigt, wie der Formalismus hilft, Unterscheidungen bezüglich des Untersuchungsgegenstandes zu artikulieren und zu verfeinern – und die Argumentation anderer Forscher/-innen kritisch zu untersuchen und zu rekonstruieren.

Der Beitrag kann hier gelesen werden.

Reference: Rehm S-V, Goel L, Junglas I (2022) Researching digitalized work arrangements: A Laws of Form perspective. Information and Organization:100391. DOI: 10.1016/j.infoandorg.2022.100391 .

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